Lawinenrisiko einschätzen

Lawinen: Risiken erkennen und einschätzen

Achtung, Lebensgefahr! Allein in den Alpen sterben jährlich mehr als 100 Menschen bei Lawinenabgängen. Für uns Grund genug, das Thema detailliert zu betrachten. Zwar lässt sich das Risiko einer Lawine nicht komplett vermeiden, die richtigen Tipps und Hinweise bieten dir jedoch ein deutliches Plus an Sicherheit. Wir erläutern dir die verschiedenen Lawinenwarnstufen sowie ihre Bedeutung und zeigen dir, worauf du achten musst, um das Lawinenrisiko einzuschätzen. Zudem geben wir dir ein „How to“ für das richtige Verhalten bei einem Lawinenabgang an die Hand, das im Ernstfall Leben retten kann.

Die Europäische Gefahrenskala für Lawinen wurde im Jahr 1993 definiert. Sie ist das Resultat einer seit 1983 bestehenden Arbeitsgruppe verschiedener europäischer Lawinenwarndienste, welche sich zum Zwecke des Erfahrungsaustausches sowie der Vereinheitlichung von Lawinenlageberichten und -warnstufen regelmäßig alle 1-3 Jahre trifft. Bis zum Jahr 1993 gab es in allen Alpenländern unterschiedliche Gefahrenskalen. Während Frankreich und Italien über eine achtstufige Skala verfügten, galten in Deutschland und Österreich jeweils sechs Lawinenwarnstufen. Die seit 1993 gültige Europäische Gefahrenskala definiert fünf Stufen und vereinheitlicht die Begriffe in den einzelnen europäischen Sprachen.

Die Europäische Gefahrenskala für Lawinen enthält zwei wichtige Grundbegriffe, deren Definition du unbedingt kennen solltest:

Die Hangneigung

Als „mäßig steil“ werden Hänge mit einer Neigung von bis zu 30° bezeichnet, Hänge mit einer Neigung von mehr als 30° gelten als „steil“ und tragen aus diesem Grund die Bezeichnung „Steilhänge“.

Die Zusatzbelastung

Von einer „geringen Belastung“ eines Hanges ist bei einem einzelnen Skifahrer, Snowboarder oder Schneeschuhläufer auszugehen, eine „große Zusatzbelastung“ liegt vor, wenn der Hang von einer Gruppe von Skifahrern ohne Sicherheitsabstände oder einem Pistenfahrzeug befahren wird.

Stufe 1 – Geringe Lawinengefahr

Die Schneedecke ist gut verfestigt und stabil. Eine Lawinenauslösung ist nur bei großer Zusatzbelastung an vereinzelten Stellen und im extremen Steilgelände zu erwarten. Spontan, also ohne menschliches Zutun, sind lediglich Rutsche und kleine Lawinen möglich. Die Tourenverhältnisse gelten als sicher.

Stufe 2- Mäßige Lawinengefahr

Die Schneedecke ist an einigen Steilhängen nur mäßig, im Allgemeinen jedoch gut verfestigt. Eine Lawinenauslösung ist insbesondere bei einer großen Zusatzbelastung (vor allem an den angegebenen Steilhängen) möglich. Spontane große Lawinenabgänge sind jedoch nicht zu erwarten. Die Tourenverhältnisse sind unter Berücksichtigung lokaler Gefahrenstellen günstig.

Stufe 3 – Erhebliche Lawinengefahr

Die Schneedecke ist an vielen Steilhängen nur mäßig bis schwach verfestigt. Eine Lawinenauslösung kann bereits bei einer geringen Zusatzbelastung erfolgen – vor allem an Steilhängen ist das Lawinenrisiko erhöht. Auch ist der spontane Abgang mittlerer und großer Lawinen möglich. Skitouren erfordern ein lawinenkundliches Beurteilungsvermögen, das Fahren auf Hängen mit mehr als 30° Neigung sollte vermieden werden.

Stufe 4 – Große Lawinengefahr

Die Schneedecke ist an den meisten Steilhängen schwach verfestigt. Es sind bereits bei einer geringen Zusatzbelastung Lawinenabgänge zu erwarten, an einigen Steilhängen sind spontan viele mittlere und große Lawinen wahrscheinlich. Die Tourenmöglichkeiten sind stark eingeschränkt.

Stufe 5 – Sehr große Lawinengefahr

Die gesamte Schneedecke ist im Allgemeinen schwach verfestigt und weitgehend instabil. Es ist mit vielen großen, mehrfach auch sehr große Lawinen – auch in mäßig steilem Gelände – zu rechnen. Skitouren sind nicht mehr möglich.

Wichtigster Grundsatz: Leichtsinn kostet Leben!

Du denkst jetzt: Je höher die Lawinenwarnstufe, desto mehr Unfälle? Falsch! Rund 66 Prozent aller Lawinenunglücke passieren bei Warnstufe 3. Diese wird von vielen Athleten unterschätzt, denn die Gefahr steigt bei den Lawinenwarnstufen exponentiell nach oben. Aus diesem Grund ist die Warnstufe 3 nicht nur „ein bisschen“ gefährlicher als Stufe 2, sondern doppelt so gefährlich. Merke: Bereits bei Stufe 3, also einer mäßig bis schwach verfestigten Schneedecke, ist mit erheblichen und lebensbedrohlichen Gefahren zu rechnen.

Um die Lawinengefahr abseits der präparierten Pisten richtig einschätzen zu können, solltest du folgende drei Grundregeln befolgen:

Regel 1: Nutze aktuelle Lawineninformationen

Aktuelle Informationen über die Lawinenlage sind beim Wintersport überlebenswichtig. Ausreden gibt es hier nicht: Per Smartphone sind Lawinenlageberichte sogar aus dem entlegensten Winkel der Welt einfach und schnell abrufbar. Beginne also jeden Skitag damit, dich über die aktuelle Lawinenlage in der Umgebung zu informieren.

Regel 2: Schätze die Hanglage richtig ein

Die Hangneigung ist für die Einschätzung des Lawinenrisikos ein wesentlicher Faktor. 97 Prozent aller Lawinenunfälle passieren in Hängen mit einer Neigung von mehr als 30 Grad. Doch Achtung: Bereits ab einer Neigung von 25 Grad besteht eine potentielle Gefahr von Lawinenabgängen. Um die Hangneigung zu beurteilen, nutzt du optimalerweise eine topographische Landkarte. Je größer der Kartenmaßstab, desto besser. Noch einfacher geht das Bestimmen der Hangneigung mit einem Hangneigungsmesser – dieser ist sogar als App für das Smartphone erhältlich.

Stehen dir beide Utensilien nicht zur Verfügung, schätzt du die Hanglage mit Hilfe der sogenannten Skistock-Pendelmethode ein. Dazu legst du einen Skistock hangabwärts in den Schnee, verstärkst den Abdruck am Griffende des Stocks und hebst deinen Stock anschließend so an, dass das spitze Ende am Hang liegt. Anschließend greifst du mit deiner freien Hand zu einem zweiten Stock und führst die Griffende beider Skistöcke zusammen. Zu guter Letzt hebst du den ersten Stock so weit an, bis der zweite Stock ebenfalls den Hang berührt. Pendelt sich die Spitze des zweiten Stockes dort ein, wo der Abdruck des ersten Stockes sichtbar ist, so ist der Hang ca. 30 Grad steil. Trifft das Ende des zweiten Stockes unterhalb der Markierung auf den Hang, ist die Hangneigung steiler als 30 Grad. Hinweis: Diese Methode funktioniert nur, wenn beide Stöcke gleich lang sind.

Regel 3: Beobachte das Wetter

Der Wind und die Temperatur haben wesentlichen Einfluss auf die Lawinengefahr. Wirf‘ also stets einen prüfenden Blick auf das Wetter, bevor du deinen Skitag beginnst. Besonders fluffiger Neuschnee kann leicht vom Wind abgetragen werden. Lagert sich der Schnee an der windabgewandten oder windzugewandten Bergseite ab, besteht bereits bei einer geringen Zusatzbelastung die Gefahr eines Lawinenabganges. Achtung: Dieser sogenannte Treibschnee ist schwer zu erkennen und daher besonders gefährlich.

Zum Thema Temperatur: Eine länger andauernde Kälteperiode erhöht die potentielle Lawinengefahr – vor allem bei frischem Neuschnee. Da sich Neuschnee aufgrund seiner höheren Temperatur nicht mit dem alten Schnee verbinden kann, entsteht im Zwischenraum eine Schwachschicht, die zu einen Lawinenabgang führen kann. Auch schnell ansteigende Temperaturen sind ungünstig. Bei einem Temperaturanstieg verwandeln sich Schneekristalle in runde Kügelchen und bilden auf diese Weise den Nährboden für leicht abgehende Lawinen.

Bei diesen Anzeichen solltest du deine Tour abbrechen:


  • Die Sicht verschlechtert sich schlagartig (Temperaturänderung → Lawinengefahr)
  • In deiner Umgebung lösen sich einzelne Schneebretter
  • Plötzlich einsetzender Schneefall in Verbindung mit auffrischendem Wind
  • Es beginnt zu regnen (die Feuchtigkeit zerstört die Bindung der Schneekristalle → Lawinengefahr)
  • Beim Betreten der Schneedecke bilden sich Risse
  • Du hörst in deiner Umgebung seltsame Geräusche, die einem Donnern ähneln (sog. Setzungsgeräusche weisen auf einen Kollaps einzelner Schneeschichten hin → Lawinengefahr)

Bei diesen Anzeichen solltest du deine Tour nicht starten:


  • Lawinenwarnstufe 4 oder 5
  • Lawinenwarnstufe 3, sofern du nicht über ausreichende Kenntnisse zur Beurteilung des tatsächlichen Lawinenrisikos verfügst
  • Neuschnee nach einer längeren Kälteperiode oder eingeschneitem Oberflächenreif
  • Wechselhafte Witterungsbedingungen mit starken Temperaturänderungen
  • Gut sichtbare Risse in der Schneedecke und/oder gelegentliche Abgänge kleinerer Lawinen

Grundsätzlich gilt: Im Zweifel lieber umdrehen oder die Tour gar nicht erst beginnen.

Bei einer Hangquerung bewegst du dich, wie der Name vermuten lässt, quer und mittig zum Hang. Das bedeutet zum einen, dass du von einer von oben kommenden Lawine überrascht werden kannst, zum anderen trägst du durch deine Bewegungen selbst zu einem erhöhten Lawinenrisiko bei. Denn: Bei einer Hangquerung ziehst du durch deine Schuhe oder Ski eine Querspur in den Schnee. Diese unterteilt die Schneefläche auf dem Hang in zwei Hälften und komprimiert die oberste Schneeschicht. Die Folge: Lawinengefahr! Vor allem bei Neuschnee und starkem Wind solltest du eine Hangquerung unbedingt vermeiden. Auch bei günstigen Bedingungen ist eine Hangquerung nur unter Berücksichtigung der örtlichen Lawinenwarnstufe sowie einer gewissenhaften Vorbereitung zu empfehlen.

Eine Lawine bedeutet Lebensgefahr – deine Reaktion entscheidet über Leben und Tod. Mithilfe der folgenden 7 Tipps kannst du deine Überlebenschancen erhöhen:

Tipp 1: Aufrecht bleiben und fliehen

Versuche, auf den Beinen zu bleiben und in einem 45-Grad-Winkel seitlich aus der Lawine herauszufahren.

Tipp 2: An der Oberfläche bleiben

Gelingt es dir nicht aus der Lawine zu fahren, halte dich möglichst lange an der Oberfläche. Dazu führst du Schwimmbewegungen aus, welche dich im Idealfall oberhalb der Schneemassen halten.

Tipp 3: Ausrüstung bedienen

Bist du mit einem Lawinen-Airbag oder einer AvaLung-Weste unterwegs, betätige umgehend den Auslöser.

Tipp 4: Trenne dich von Ski und Skistöcken

Der Abwurf deiner Ski und Skistöcke hat oberste Priorität. Sie erhöhen nicht nur das Verletzungsrisiko, sondern ziehen dich bei einer Lawine noch tiefer in den Schnee – fast so, als würdest du mit einem Bleigürtel ins Wasser springen.

Tipp 5: Kauerstellung einnehmen und Atemhöhle schaffen

Kurz bevor die Lawine zum Stillstand kommt, nimmst du eine Kauerstellung ein. Halte deine Fäuste und Unterarme mit Abstand vor das Gesicht. Auf diese Weise entsteht eine Atemhöhle, welche dir und deinen Rettern wertvolle Minuten verschafft.

Tipp 6: Kraft einteilen

Haushalte bei Selbstbefreiungsversuchen mit deinen Kraftreserven – du könntest diese im Verlaufe der Rettungsmaßnahmen noch benötigen. Ist dir eine eigene Befreiung nicht möglich, gilt: Ruhe bewahren, gleichmäßig atmen und Kräfte sparen.

Tipp 7: LVS-Gerät mitführen

Sei nie ohne LVS-Gerät unterwegs. Dieses ist aufgrund seiner kompakten Abmessungen leicht mitzuführen und sendet im Falle einer Verschüttung Signale aus, die von anderen LVS-Geräten geortet werden können. Wichtig: Trage dein LVS-Gerät immer am Körper und niemals im Rucksack. Denn: Solltest du deinen Backpack während eines Lawinenabganges verlieren, finden Rettungskräfte zwar dein LVS-Gerät, du selbst bleibst jedoch an einer anderen Stelle unter dem Schnee verborgen.

Wenn du Zeuge eines Lawinenabganges wirst, kann dein Verhalten maßgeblich zum Überleben anderer Pistenteilnehmer beitragen. Oberstes Gebot ist auch hier: Ruhe bewahren. Versuche zunächst, von der Lawine erfasste Ski- und Snowboardfahrer genau im Auge zu behalten. Zeitgleich verständigst du die Rettungskräfte.

Ist die Lawine abgegangen und die unmittelbare Gefahr vorüber, markierst du den Erfassungs- sowie den Verschwindepunkte der verschütteten Personen mit deinen Skistöcken oder einzelnen Kleidungsstücken. Auf diese Weise erleichterst du den Rettungskräften die Suche. Schalte nun Handy und Funkgerät ab, um die LVS-Signale der Verschütteten nicht zu stören. Stell dein LVS-Gerät auf Empfang und suche den Bereich des Lawinenabgangs ab. Hast du eine verschüttete Person gefunden, markiere zunächst die Stelle und beginne anschließend mit dem Ausgraben. Wichtig: Das Ausgraben sollte stets von der Seite und nicht von oben erfolgen, um den Verschütteten nicht zu verletzen.
Sobald die verschüttete Person freigelegt wurde, nimmst du Erste-Hilfe-Maßnahmen nach der ABC-Regel (Atmung, Bewusstsein, Circulation) vor:

  • Atmung:
    Überprüfe, ob die Person noch selbständig atmet. Dafür musst du unter Umständen den Kopf überstrecken und nachhören. Atmet die Person nicht mehr, beginnst du mit der Beatmung.
  • Bewusstsein:
    Sprich die freigelegte Person ruhig aber gut hörbar an oder kneife sie. Bleibt eine Reaktion aus, wende die stabile Seitenlage an.
  • Circulation:
    Kontrolliere den Puls an der Hand- oder Halsschlagader. Bei fehlendem Herzschlag beginne unverzüglich mit der Herz-Druck-Massage.